Eenes Mannes Rede ist keenes Mannes Rede,
man soll Sie billig hören beede.
( Sachsenspiegel I 62, § 7)
audiatur et altera pars
"Es möge auch der andere Teil gehört werden!"
Rechtsanwalt Friedrich Ramm
Prozessrecht: Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs
1. Allgemeines
Nach Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und den entsprechenden Landesverfassungen hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör [ audiatur et altera pars *)]. Dieser Grundsatz ist als Grundrecht garantiert und besagt, dass einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden dürfen, zu denen Stellung zu nehmen, den Beteiligten Gelegenheit gegeben war.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt den Prozeßbeteiligten eine Mindestgarantie des Inhalts, dass eine für sie nachteilige Entscheidung nicht ohne ihre vorherige Anhörung getroffen werden kann und schützt die Prozeßpartei vor Überrumpelung mit unbekannten Tatsachen und Beweisergebnissen.
Der Grundsatz des Anspruches auf rechtliches Gehör umfasst somit das Recht auf Information, das Recht auf Äußerung und das Recht auf Berücksichtigung.
2. Informationsrecht
Das Recht auf Information umfasst das Recht auf vollständige Information über den Verfahrensstoff. Hierzu gehört unter anderem die Information über
* alle Äußerungen der Gegenseite, einschließlich der Anlagen von Schriftsätzen und sonstigen Schreiben,
* allgemeinkundliche Tatsachen, sofern und soweit sie einer Prozesspartei möglicherweise nicht bekannt sind,
* von Amts wegen eingeführte Tatsachen und Beweismittel,
* dienstliche Äußerungen (z.B. des Richters),
* polizeiliche Vernehmungsprotokolle und tatsächliche Feststellungen aus anderen Verfahren,
* unterstellte Tatsachen, die dem Vortrag der Prozesspartei widersprechen.
Das Recht auf Information umfasst auch das Recht auf Einsicht in die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten ( Akteneinsichtsrecht). Dasselbe gilt bezüglich der den Behörden und der Staatsanwaltschaft vorliegenden Akten und Beweisstücke.
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3. Das Recht auf Äußerung
3.1. Allgemeines
Das Recht auf Äußerung umfaßt die Möglichkeit, sich grundsätzlich vor Erlaß einer Entscheidung mindestens schriftlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Sache äußern zu können. Es besteht jedoch kein Anspruch auf ein mündliches Rechtsgespräch.
3.2. Verbot des Überraschungsurteils
3.2.1. Allgemeines
Es ist dem Richter verboten , ein Überraschungsurteil zu fällen !
Ein Überraschungsurteil kann dann vorliegen und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen, wenn das Gericht in ihm auf einen Aspekt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßvertreter nicht zu rechnen braucht.
Ein Überraschungsurteil liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (Beschluß vom 25.05.2001, - 4 B 81.00 - in Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34, Seite 20 f.). Die Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden ("wesentlichen") Erwägungen des Gerichts (BVerwG, Beschluß vom 29.10.2003, - 6 B 57.03 -). Sie verlangt allerdings grundsätzlich nicht, dass das Gericht die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hiweist, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (BVerwG, Beschluß vom 28.12.1999, - 9 B 467.99 - in Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VerwGO Nr. 51). So muß das Gericht die Beteiligten nicht vorab darauf hinweisen, auf welche von mehreren Gesichtspunkten es seine Entscheidung stützen und wie es sie im Einzelnen begründen werde (BVerwG, Beschluß vom 30.10.1987, - 2 B 85.87 - in Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 20).
3.2.2. Hinweis- und Aufklärungspflichten des Gerichts im Verwaltungsprozess
Im Verwaltungsprozess hat der Vorsitzende nach § 86 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) darauf hinzuwirken, dass alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden (BVerwG, Beschluß vom 29.10.2003, - 6 B 57.03 -). Die gerichtlichen Hinweise sollen zum einen dazu beitragen, die Voraussetzungen für eine richtige, dem Gesetz entsprechende Sachentscheidung zu schaffen (BVerwG ebenda unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht in diesbezüglicher Entscheidungssammlung Nr. 42, Seite 64 (73) zu § 139 ZPO). Die Vorschrift soll darüber hinaus als eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör Überraschungsentscheidungen vorbeugen (BVerwG, Beschluß vom 05.06.1998, - 4 BN 20.98 - in Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 49, Seite 5).
3.2.3. Hinweis- und Aufklärungspflichten des Gerichts im Zivilprozess
Auch im Zivilprozess hat das Gericht umfangreiche Hinweispflichten zu beachten. Es hat dahin zu wirken, dass die Prozessparteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen ( § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf im Zivilprozess das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat
( Verbot des Überraschungsurteils, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
Die von dem Gericht nach § 139 ZPO zu erteilenden Hinweise sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen ( § 139 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden.
Der Prozesspartei ist zeitlich ausreichende Gelegenheit zu geben, sich auf die Prozesssituation einzustellen. Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann ( § 139 Abs. 5 ZPO).
3.2.4. Vermeidung eines Überraschungsurteils durch Wiedereröffnung
der mündlichen Verhandlung
Hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf einen bisher nicht erörterten, seine tragenden Erwägungen betreffenden Gesichtpunkt hingewiesen und ist ein Beteiligter nicht in der Lage, sich in der mündlichen Verhandlung dazu zu äußern, ist dieser gehalten, alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden, wobei eine Maßnahme die Stellung des Antrages auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung wäre (BVerwG, Beschluß vom 29.10.2003, - 6 B 57.03 -).
3.3. Angemessenes Fristenmanagement
Fristen, die vom Gericht für die Äußerung gesetzt werden, müssen objektiv ausreichend sein und vom Gericht selbst bis zum letzten Tag abgewartet werden. Sofern vom Gericht keine Frist gesetzt wurde, muss auf eine angekündigte oder zu erwartende Stellungnahme eine angemessene Zeit gewartet werden. Fristablauf ist regelmäßig 24.00 Uhr und nicht schon der Zeitpunkt des Dienstschlusses.
3.4. Besonderheit im Strafprozess
Im Strafprozess bestehen bezüglich des Rechts auf Äußerung weitgehende Rechte, insbesondere "das letzte Wort" des Angeklagten ( § 258 Abs. 3 StPO).
4. Das Recht auf Berücksichtigung
Das Recht auf Berücksichtigung bedeutet, dass das Gericht das Vorbringen, einschließlich der Beweisanträge zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss. Es dürfen nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse verwertet werden, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen sich die Parteien äußern konnten. Die Vorwegnahme einer Beweiswürdigung ist unzulässig.
Es besteht aber keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen der Prozessparteien in den Gründen der Entscheidung auseinanderzusetzen. Die wesentlichen Tatsachenbehauptungen müssen aber in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden.
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*) Abgeleitet aus Digesten 48, 17, 1 pr.
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